Abschiedsinterview Pfarrer Werner an Silvester 2023

17.12.2023 (c) Kirchenkreis/Schmelting

Straelen. Die Evangelische Kirchengemeinde Straelen-Wachtendonk ist erst seit 2020 Teil des Evangelischen Kirchenkreises Kleve. Eine Bereicherung, die auch mit Pfarrer Christian Werner und Pfarrerin Ulrike Stürmlinger zu tun hat. Pfarrer Werner geht zum Ende des Jahres in den Ruhestand, er wird am Silvestermorgen vom Superintendenten des Ev. Kirchenkreises Kleve, Pfarrer Hans-Joachim Wefers vom Dienst in der Kirchengemeinde entpflichtet. Der Gottesdienst in der Dietrich Bonhoeffer-Kirche beginnt um 11 Uhr. Pfarrer Werner stellte sich den Fragen von Stefan Schmelting.

 

Pfarrer Werner, nach dem Weihnachtsstress kommt auch noch Ihre Verabschiedung. Wie geht es Ihnen? Tiefenentspannt oder reines Chaos?

Weder noch. Es ist noch einiges zu tun. Der Heiligabend mit seinen zwei Christvespern und einer Christmette will vorbereitet sein. Es ist halt „Last Christmas“. Und der Silvester-Gottesdienst mit meinem Abschied schwirrt auch schon erheblich im Kopfe und im Herzen herum. Thema: „Alles hat seine Zeit.“ Aber ich freue mich auf jeden Gottesdienst, den ich noch im Dienst halten darf. In den letzten Wochen schreite ich von einem Abschied zum nächsten.

 

Was liegt in den kommenden Tagen bis Silvester noch an?

Mein letzter Konfirmandenunterricht. Da haben mich die Jugendlichen vorige Woche schon sehr berührt: „Wir bestehen darauf, dass Sie im Mai nächsten Jahres bei unserer Konfirmation dabei sind! Und wenn Sie wenigstens ein Lied auf der Gitarre singen…“ Meine letzten Schulgottesdienste mit der Sekundarschule und dem Gymnasium. Da wurde ich vorige Woche auch schon offiziell verabschiedet und bekam eine aus Pappe gebastelte Gitarre geschenkt. Was diese Fülle von Schulgottesdiensten durch alle Schulformen hindurch, den Konfirmandenunterricht, aber auch alle Kindergottesdienste und alle Taufgottesdienste betrifft: Sie alle habe ich jeweils mit Gitarre begleitet. Ich hätte nie gedacht, dass ich als 67jähriger noch so intensiv junge Menschen erreichen kann. Das war mir immer ein beglückendes Geschenk, wenn sie mitsingen, mitklatschen und zuhören.

Und dann eben liegt Heiligabend an!

 

Was hat Ihnen im Pfarramt am meisten Freude bereitet?

Da muss ich meine Frau zitieren: „Immer, wenn du von irgendeiner Sitzung kommst, die mit der Organisation der Verkündigung des Evangeliums zu tun hat, aber nicht die Verkündigung des Evangeliums selber ist – egal ob Presbyterium, Mitarbeiterrunde, Ausschuss, Pfarrkonvent, Kreissynode…bist du nicht gerade fröhlich. Aber wenn du von einem Gottesdienst kommst, von einer Taufe, von der Konfirmation, von einer Trauung, ja, sogar von einer Beerdigung, und von den vorausgehenden Gesprächen mit den Menschen, vor allem seelsorgerlichen Gesprächen – also immer, wenn du das Evangelium verkündigen kannst, bist du erfüllt glücklich.“

 

Seit Beginn meines Dienstes in der Gemeinde vor zwölf Jahren wurde gerade die Seelsorge in Straelen zu einer besonders intensiven Tätigkeit. Dabei ging es um den Umgang mit Angst, mit Anspruch, mit Glauben, mit Schuld. Mein stetes Vorbild ist die Seelsorge Jesu als Lebenshilfe, als Glaubenshilfe, als Zuspruch der Vergebung. In diesem Zusammenhang hat sich eine besondere Leidenschaft entwickelt: die seelsorgerliche Predigt. Ich als Seelsorger brauchte aber auch selber Seelsorge. Dabei ist meine überraschende Erfahrung: Gerade Laien-Seelsorgerinnen und -Seelsorger haben mir besonders geholfen. Und das war nie laienhaft.

 

Gibt es etwas, das Sie besonders in der Gemeinde Straelen-Wachtendonk schätzen?

Ich habe mich damals in Straelen beworben, weil in der Ausschreibung der Gemeinde im Amtsblatt vom 15. August 2011 stand:

„Das Presbyterium sieht sich in der Gemeindesituation in Straelen im Umbruch und erhofft sich mit der neuen Pfarrerin oder dem neuen Pfarrer einen Neuanfang für das Gemeindeleben…Das Presbyterium freut sich auf eine Pfarrerin oder einen Pfarrer…, die oder der mit Freude am Evangelium Predigten und Gottesdienste sorgfältig gestaltet…und die Arbeit aus Berufung und mit Überzeugung wahrnimmt.“

Nun, am Ende meines Dienstes hier, wage ich zu sagen: „Ich habe mich bemüht.“ Ich schätze an dieser Gemeinde und ihrem Presbyterium, dass sie mich haben arbeiten lassen. Dass ich insbesondere den Gottesdienst „anders“ entwickeln durfte. Das gab es in den früheren Gemeinden nicht. Zehn Jahre lang etwa alle sechs Wochen diese andere Form des Gottesdienstes, also einundsechzig Mal. Immer ein anderes Thema, auf das es sich intensiv vorzubereiten galt, und immer mit tollen Chören oder guter Musik. Dass dann zum letzten Gottesdient „anders“ am 2. Advent zum Thema „Mehr Anfang war selten“ wieder 230 Gottesdienstbesucher zusammenkamen, die 1.300 € Kollekte für Menschen in Not sammelten, ja, das beglückt und beschämt mich sehr.

 

Was werden Sie im Ruhestand am wenigsten vermissen?

Die Sitzungen. Das hängt mit meiner Vergangenheit zusammen. Bevor ich nach Straelen kam, war ich 22 Jahre lang Pfarrer in Bad Godesberg. Und hatte – wie das manchmal in der evangelischen Kirche passieren kann – eine Fülle von Ämtern zusätzlich zum Gemeindepfarramt. Natürlich gab es auch erfolgreiche Sitzungen. Auf eines bin ich besonders stolz: Auf einer Landessynode habe ich persönlich darum gerungen, dass die Kirchenmusik endlich in die Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland kam. Das war ein bisschen ein Kampf.

 

Aber seitdem heißt es im grundlegenden Artikel 1, Absatz 4:
Die Evangelische Kirche im Rheinland…“hat den Auftrag…zur Kirchenmusik“. Also. Es hat das ein oder andere auch geklappt.

 

Aber immer wieder saß ich in Sitzungen weit weg von der Gemeinde vor Ort – und hatte ein schlechtes Gewissen. Auch deshalb habe ich mich entschieden, die Gemeinde zu wechseln und mich dadurch aller Ämter zu entledigen. Und ich wollte, wenn ich in eine neue Gemeinde komme, kein überregionales Amt mehr annehmen, sondern nur noch Pfarrer vor Ort sein. So habe ich es dann in Straelen gehalten. Mein Auftrag ist es, das Evangelium zu verkündigen. Das wurde mir in Straelen dann wieder ohne zusätzliche Ämter und Aufgaben möglich. Am wenigsten vermissen werde ich auch das Tragen des Gitarrenkastens. Nie konnte ich mit dem Fahrrad zum Dienst fahren. Immer war die Gitarre zu transportieren – vom morgendlichen Schulgottesdienst um 7.50 Uhr bis zum Abendkreis. Immer schleppen. Aber es hat sich gelohnt!

 

Wie bereitet man sich als Pfarrer auf den Ruhestand vor?

Meine Nachfolgerin, Pfarrerin Ulrike Schalenbach, die am 1. Februar 2024 ihren Dienst beginnt, hat mich während einer Vorbesprechung unter vier Augen über das, was die gemeindliche Arbeit betrifft, ohne dass sie es gleich merkte, durch ihr mutiges Votum mir gegenüber auf ihre Art auf den Ruhestand vorbereitet: „Herr Werner, könnten Sie sich in der ersten Zeit zurückhalten? Also, ich meine: Könnten Sie hier nicht zum Gottesdienst kommen? Damit ich als Neue einen guten Start habe!“

 

Das hat mich – im guten Sinne – getroffen. Frau Schalenbach hat recht. Ich bin bis zum Schluss derart im dienstlichen Flow, dass ich bisher darüber gar nicht nachgedacht habe. Ich darf meiner Nachfolgerin nicht im Wege stehen. Mein Dienst ist dann zu Ende. Ich hatte meine Zeit. Und alles andere werden wir sehen. Ich bin dabei aber selber fest von dem überzeugt, was ich den Menschen immer zugesungen habe, wenn Gott spricht: „Ich lass dich nicht fallen!“

 

Wofür wollen Sie nun mehr Zeit investieren, als das bisher möglich war?

Für meine Frau! Sie war ihrerseits immer treu an meiner Seite. Ihrer Liebe und Einsatzfreude verdanke ich unermesslich viel. Gemeinsam mit meiner Frau möchte ich kontinuierlicher an Interessen dranbleiben. Besser: an Menschen, die uns entbehren mussten. Vor allem an der Tochter und an den drei Enkeln. Diese haben mir voriges Jahr eine lebensgroße Pappfigur von Mr. Bean geschenkt. Weil sie so gerne mit ihrem Opa lachen – und ihn deshalb auch aus der Ferne immer zum Lachen bringen wollen. Das könnte nun auch wieder mehr vor Ort sein.

 

Wie sieht ihre persönliche Planung aus, viele Pfarrer verlassen die Gemeinde, in der sie tätig waren?

Wenn ich vorhin vom eindrücklichen Votum meiner Nachfolgerin sprach, können Sie sich denken, was das im Blick auf Ihre Frage bedeutet. Da ich, was seit einiger Zeit möglich ist, nicht im Pfarrhaus wohne, sondern zur Miete, muss ich mit dem Dienstende auch nicht sofort die Wohnung verlassen. Aber meine Frau und ich denken sehr intensiv darüber nach, uns in einem anderen Ort etwas Neues zu suchen, also die Gemeinde zu verlassen. Ob das nun der Bonner Raum wird, wo Tochter und Enkel wohnen, ist nicht so klar. Obwohl die Enkel mich schon auf ihre Art ermutigen wollten: „Opa, Du kannst dann tagsüber bei uns sein, und abends gehst Du wieder `rüber ins Altenheim.“

 

Die Bibel ist ja nicht nur die gute Nachricht oder ein Glaubenszeugnis, sie ist ein Ratgeber in vielen Dingen. Welche Bibelstellen waren für Sie Ratgeber/Begleiter?

Da könnte ich jetzt viele nennen. Aber ich will mich auf zwei konzentrieren: Meinen Konfirmationsspruch aus Matthäus 6, Vers 33:

Jesus Christus spricht: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“

Und unseren Trauspruch aus Römer 12, Vers 12: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet!“

 

Gibt die Bibel einen Rat für den Ruhestand?

Genau diese Ratschläge im Konfirmations- und im Trauspruch!

 

Wenn Sie heute gefragt würden, ob Sie noch mal Theologie studieren wollten, wie würde Ihre Antwort lauten? Ja, Nein oder Ja, aber…?

Ja, unbedingt! Noch viel mehr, als ich es damals getan habe. Dabei bin ich aus heutiger Sicht und Erfahrung umso mehr davon überzeugt: Das Evangelium zu verkündigen, ist das Höchste, was man als Pfarrer erreichen kann. Nicht irgendwelche Ämter – und wenn`s das Amt des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland wäre. Nein, das Höchste und Herausforderndste ist es, von Gott zu sprechen.

 

Da haben mich fünf kleine Sätzlein des größten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts, Karl Barth (1886-1968), im Studium gerettet – und bis heute entscheidend geprägt. Damals hatte ich eigentlich schon mein Studium abgebrochen. Mir war klar geworden: Ich Menschlein kann doch nicht von Gott sprechen! Wie soll das gehen? In meiner Not arbeitete ich kurzzeitig als Versicherungsvertreter in Heidelberg. Doch es war ganz schnell auch klar: Was ich da den Menschen andrehe, ist nicht überzeugender. Genau in diesem Moment stieß ich auf diese fünf kleinen Sätzlein Karl Barths. 1922 schrieb Barth in „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“:

„Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben. Das ist unsere Bedrängnis. Alles Andere ist daneben Kinderspiel.“

 

Und Barth hat auch gesagt – und mir damit eine theologische Perspektive für den Ruhestand gegeben:

„Es gilt, als Christenmensch, vor allem auch als Theologe, immer wieder mit dem Anfang anzufangen. In jeder Zeit ist jeweils neu auszugehen von dem, was Gott uns sagt.“

Dann will ich mal wieder anfangen…

 

Man schätzt Sie unter anderem für ihre musikalischen Fähigkeiten an der Gitarre, was machen Sie nun mit der ganzen musikalischen Energie?

Ich werde nie aufhören zu singen. Ich kann nicht anders. Da ich offiziell nie richtig Gitarre-Spielen gelernt habe, möchte ich versuchen, dieses ein wenig zu verfeinern. Dazu gehört auch die Erweiterung meines Udo Jürgens-Lieder Repertoires. Aber auch gemeinsam mit meiner Frau wieder in einem Chor zu singen, soll nicht fehlen.

Und ich möchte meine musikalische Energie auf den Größten konzentrieren: auf Johann Sebastian Bach.

 

Von ihm hat neulich der katholische Kantor Otto Maria Krämer in einem extra organisierten Orgelkonzert anlässlich meines Abschieds – was für ein bewegendes ökumenisches Zeichen! – an der großen Orgel der katholischen Kirche in Straelen einiges gespielt. Ich habe dann verbal ergänzt, was ich in meinen bisherigen Bach-Studien herausbekommen habe. Zum Beispiel:

 

Der 6. Satz der Bach-Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ von 1723 ist der Choral „Wohl mir, dass ich Jesum habe“ Wir kennen ihn unter „Jesus bleibet meine Freude“. Er singt vom Glück des Glaubens. Bach komponiert dabei in den Takten 47 und 48 die Spitzentöne der instrumentalen Oberstimme ausgerechnet b/a-c/h, also gelesen ‚Bach‘, während der Chor gleichzeitig singt: „Jesum hab ich, der mich liebet und sich mir zu eigen gibet“. Also genau bei „sich mir zu eigen gibet“ kommen die instrumentalen Töne b/a-c/h ‚Bach' vor. „Sich mir“, Bach, „zu eigen gibet“. Mehr Bekenntnis geht nicht.

 

So wie Bach sich in seine Komposition einzeichnet, so habe ich auch versucht, mich als Pfarrer in meine Predigten und in meine Gitarre-begleiteten Lieder einzuzeichnen. Aber so genial wie bei Bach ist es mir nie gelungen. Deshalb bleibt er mein großes Vorbild im Glauben – und möge auch vielen anderen eine besondere Anregung sein: „Soli deo gloria!“ – „Gott allein die Ehre!“

 

Was wünschen Sie sich für sich selbst und für die Kirchengemeinde Straelen-Wachtendonk?

Für mich selbst wünsche ich mir, dass sich die Dankbarkeit – vor allem Gott gegenüber – für alles, was ich im Pfarrberuf, der für mich stets eine Berufung war, erleben und gestalten durfte, immer wieder durchsetzt. Ich danke besonders denen, die mir dabei helfend und zuarbeitend zur Seite standen. Vor allem denen, die immer wieder für mich gebetet haben. Diese Dankbarkeit ist doch dann Erfüllung, Beglückung, ja, große Freude, die allem Volk, also auch mir widerfahren wird, immer wieder neu widerfahren wird. Das wünsche ich mir. Darauf hoffe ich.

 

Für die Kirchengemeinde Straelen-Wachtendonk wünsche ich mir, dass jede und jeder weiß: Pfarrer kommen und gehen. Aber das Evangelium bleibt. Deshalb möge jeder Christenmensch für sich nie vergessen: „Gott liebt Dich und braucht Dich!“

Vielen Dank! sagt Stefan Schmelting und wünscht einen gesegneten (Un-) Ruhestand!